Die Wichtigkeit von richtigen und Gefahr von falschen Bilanzgrenzen

Aiko Müller-Buchzik, 28.09.2017
Fast jeder kennt die folgende Aussage: "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast". Unabhängig, von wem dieses geflügelte Wort auch immer stammt, so fasst es doch ein großes Problem gut zusammen. Nämlich, dass die Wahl der Parameter, innerhalb derer eine Untersuchung durchgeführt wird, maßgeblich auch für den Ausgang der Untersuchung mit verantwortlich ist. Doch was hat das mit Ressourceneffizienz zu tun? In diesem Beitrag geht es um die Folgen der Bilanzierung und vor allem darum, was Gutes und Schlechte passieren kann, wenn die Bilanz richtig/falsch definiert ist.

Die Energiebilanz von E-Commerce

Die Bilanzgrenze taucht immer wieder als ein eine Diskussion begleitendes "Problem" auf. Als Aufhänger für diesen Beitrag soll eine Studie herangezogen sein, die sich mit der Ökobilanz von E-Commerce beschäftigt[1]. Neben dem Text über die Studie sind die Kommentare wieder sehr spannend, weil diese kontra gegen die Argumentation der Studie gehen. Es liegt hier ein gutes Beispiel für eine wissenschaftliche Vorgehensweise zu einem persönlichen Gefühl vor. Dabei soll es an dieser Stelle nicht um den Inhalt und die Interpretation der Studie gehen, sondern viel mehr darum, wie die Bilanz für die Studie gelegt wurde. Wie sieht die Bilanz aus und was wurde daraufhin - auf das Thema bezogen - mit berücksichtigt?

Basis für die Studie ist die gefühlte Richtigkeit der Annahme, dass durch E-Commerce die Ökobelastung steigt, da vermehrt LKW durch die Lande fahren. Zuerst einmal muss im Rahmen der Studie also festgehalten werden, dass zwei Situationen verglichen werden:

  • kein Kauf über Online-Shops, Kunden fahren zum Laden und kaufen dort ein

  • Kauf über Online-Shops, Kunden fahren nicht zum Laden, um dort einzukaufen

Welche Ökobilanz besser ist, lässt sich am Ende erst sagen, wenn für beide Fälle die spezifische Ökobelastung als Zahl definiert wurde. Beide Zahlen müssen dabei auf Grundlage der gleichen Benchmark-Werte festgesetzt werden. Das bedeutet hier, dass - wie in der Studie scheinbar/hoffentlich durchgeführt - sämtliche Aspekte zum Thema E-Commerce betrachtet wurden. Und dies wiederum bedeutet, dass alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Einkauf allgemein berücksichtigt werden müssen. Dies können also sein

  1. Was mache ich innerhalb eines definierten Zeitraumes (nämlich dem Zeitraum, in dem ich einkaufe (Fall 1) oder eben nicht (Fall 2)?

  2. Welche Wege werden von allen Beteiligten am Kauf des Produktes zurück gelegt und vor allem, wie werden diese Wege zurückgelegt?
  3. Welche Wege werden durch die Produkte (nach Fertigstellung in der Fabrik) zurückgelegt und auch hier, wie werden diese Strecken zurückgelegt?
  4. Für welche Produkte werden die oben genannten Fragen untersucht?

Es könnten sicher noch weitere allgemeine Rahmenbedingungen definiert werden, für die Betrachtung sollen diese vier Fragen aber einmal ausreichen. Im Folgenden betrachten wir jeden dieser Punkte.

Was mache ich innerhalb eines definierten Zeitraumes?

Einkaufen ist immer - egal ob on- oder offline - mit Zeit verbunden. Grundsätzlich lässt sich das in drei Phasen einteilen:

  • Zum Geschäft bewegen

  • Einkauf (inkl. Beratung/Recherche)
  • Produkt nach Hause bringen

Wie definiert sich nun der Zeitraum für das Einkaufen. Er definiert sich über den Zeitbedarf für alle drei Schritte. Die spannende Frage ist nun, was wir mit dem zeitlichen Unterschied machen, der sich ggf. ergibt. Wenn beide Varianten (also Laden vs. E-Commerce) ordentlich verglichen werden sollen, dann müssen beide Zeiträume identisch sein. Des Weiteren finden sich auch Ähnlichkeiten, zum Beispiel das Suchen und Vergleichen von Produkten. Der längere Prozess definiert also die Bilanzgrenze, der kürzere muss inhaltlich so gefüllt werden, dass der Bilanzrahmen Zeit für beide Varianten gleich und somit vergleichbar ist. Falls eine ergebnisoffene Untersuchung stattfinden soll.

Welche Wege werden von allen Beteiligten zurückgelegt?

Man könnte meinen, dass die Bewegung zum Geschäft bei E-Commerce entfällt. Dem ist - sofern man es genau nimmt - aber nicht so, denn Gerät (Laptop, Smartphone, ...) einschalten, Website suchen/aufrufen ist eben auch eine Art, sich zum Geschäft zu bewegen. Allein es ist in der Wahrnehmung etwas gänzlich anderes. Und die Dauer ist auch geringer. Ein weiterer wichtiger Punkt ist hier die Gegenseite, nämlich die Seite des Verkäufers. Egal ob Laden oder E-Commerce, Mitarbeiter gibt es immer. Während das Ladengeschäft recht eindeutig bewertet werden kann, stellt sich beim E-Commerce die Frage, wer denn alles zu den Verkäufern zählt - wen muss ich bei seiner Bewegung berücksichtigen? Auf die Bilanzgrenze bezogen ist der gesamte Weg vom Heim zum Arbeitsplatz und zurück zu zählen - die Herausforderung liegt hier mehr bei der Definition des Mitarbeiters, der betrachtet werden muss. Und ganz spannend wird es, wenn ein Mitarbeiter HomeOffice macht - auch solche Effekte müssen berücksichtigt werden. Falls eine ergebnisoffene Untersuchung stattfinden soll.

Welche Wege werden vom Produkt zurückgelegt?

Diese Frage ist eigentlich recht simpel, denn das Produkt verlässt das Ausgangslager des Produzenten und legt den Weg entweder direkt zum Kunden zurück oder - und das ist dann doch eher die Mehrzahl - wird über einen Zwischenhändler (das Ladengeschäft oder den Online-Händler) zum Kunden transportiert. Die Wege sind schon recht klar definierbar und dennoch fällt ein Punkt hier leicht raus, nämlich der (energetische) Aufwand für die Zwischenlagerung (für beide Möglichkeiten) Vom zeitlichen Rahmen her muss also alle Bewegung und Lagerung vom Zeitpunkt der Fertigstellung/Verpackung bis zum Auspacken beim Kunden in die Bilanz aufgenommen werde. Falls eine ergebnisoffene Untersuchung stattfinden soll.

Welche Produkte werden untersucht?

Auch diese Frage ist eigentlich so simpel, dass sie schlicht vergessen werden kann. Rede ich über Nahrungsmittel, Kleidung, Technik, Unterhaltungsmedien? Das ist im Grunde natürlich vollkommen egal, da die obigen Fragen selbstverständlich für alle Produkte korrekt beantwortet werden müssen. Aber: Wenn eine Studie pauschal prüft, welche Auswirkung E-Commerce hat, dann unterstellt dies, dass es um alle Produkte geht, die online gehandelt werden. Die genaue Definierung der Produkte ergibt eine Anzahl an Wiederholung der Untersuchung, denn jedes Produkt muss einzeln bilanziert werden. Sofern eine ergebnisoffene Untersuchung stattfinden soll.

Sofern eine ergebnisoffene Untersuchung stattfinden soll!!!

Die für diesen Beitrag herangezogene Studie soll inhaltlich nicht bewertet werden. In Verbindung mit den Kommentaren unter dem Originalbeitrag auf der Webseite der Welt zeigt sich jedoch ein "Problem" (vor allem in der Veröffentlichung einer solchen Studie): Ohne klare Definition der (Bilanz)Grenzen ist die Veröffentlichung der Ergebnisse faktisch sinnfrei, da die Untersuchung angreifbar ist (was durch die Kommentare ja schön deutlich wird). Und vor allem zeigen die Kommentare noch etwas - und das ist der Hintergrund der leicht provokant formulierten Überschrift dieses Abschnittes): Mit geschickter Legung der Bilanzgrenze kann ich eben jedes Ergebnis meiner Untersuchung erzielen. Ich traue also nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe.

Was soll innerhalb der Steigerung der Effizienz bei der Ressourcennutzung erreicht werden? Das muss in erster Linie derjenige entscheiden, der ein Ergebnis bekommen möchte. Der Entscheidungsträger formuliert eine klare Frage, aus dieser ergibt sich die Bilanz und dann werden alle Faktoren gesammelt. Dann, und erst dann werden die Zahlen gesammelt. Das Ergebnis ergibt sich dann von selbst und es ist dabei auch völlig egal, was für ein Ergebnis herauskommt, denn das Ergebnis ist die logische Schlussfolgerung aus der ursprünglichen Frage. Das Ergebnis ist die Antwort und diese ist weder richtig noch falsch. Das Ergebnis kann lediglich durch die Anpassung der Frage geändert werden. Und hier zeigt sich eben die Wichtigkeit in Bezug auf die Bilanzgrenzen. Entscheidend ist die Frage, welcher die Untersuchung nachgehen soll. Bei der Studie zur Ökobilanz von E-Commerce kann leicht der Verdacht aufkommen, dass die Studie das Ergebnis die Frage bestimmt hat. Vorsicht: Dieser Verdacht ergibt sich lediglich durch den Bericht der Welt - insofern eine mutige Behauptung.

Herausforderung für Unternehmen

Unternehmer haben als oberste Pflicht, den wirtschaftlichen Betrieb ihres Unternehmens aufrecht zu erhalten. Dies erfolgt unter verschiedenen Rahmenparametern zu denen gesetzlich Vorgaben ebenso gehören, wie kundenspezifischen und vielleicht auch allgemein gesellschaftliche Herausforderungen. Unter Berücksichtigung dieser Parameter müssen Produkte hergestellt werden, die gekauft werden, die aber gleichzeitig die einrahmenden Parameter erfüllen. Das ist mitunter keine leichte Aufgabe, daraus ergibt sich ab und zu ein Handlungsbedarf. Dieser Handlungsbedarf ergibt sich aber zu Weilen auch einfach dadurch, dass das Produkt zwar (theoretisch) super ist, jedoch am Markt wegen eines ggf. zu hohen Preises nicht zur Tragfähigkeit des Unternehmens führt.

Im Rahmen einer Untersuchung zur Effizienzsteigerung der Ressourcennutzung können die wesentlichen Parameter vollumfänglich innerhalb der gesetzten Bilanzgrenzen betrachtet werden. Wem das Ergebnis nicht gefällt, kann seine Ausgangsfrage gerne ändern und somit ein unterschiedliches Ergebnis erzeugen. Aber: Auch ein schlechtes Ergebnis zeigt nur die Situation. Entscheidend ist nicht das Ergebnis selbst, sondern die Interpretation und die Entscheidungen, die sich aus dem Ergebnis heraus getroffen werden, denn die ursprüngliche Frage für die Untersuchung zielt ja gerade darauf ab, mögliche Ansatzpunkte für Veränderungen aufzuzeigen. Es interessiert Sie, wie die ReNOB Ihnen helfen kann? Dann sprechen Sie mich an - ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme.

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externe Links

[1] Webseite der Welt zur Studie

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